Was die Stärken von IRIS-T SLM sind (2024)

Hightech-Luftabwehr vom Bodensee Was die Stärken von IRIS-T SLM sind

Von Kai Stoppel 14.10.2022, 19:04 Uhr

Deutschland liefert der Ukraine mit IRIS-T SLM eines der modernsten Luftabwehrsysteme der Welt. Experten und Politiker zeigen sich begeistert. Doch was macht das System eigentlich so besonders? Und hält es auch, was es verspricht?

Russland geht zum Luft-Terror gegen die Ukraine über. Mit massiven Salven aus Raketen, Marschflugkörpern und Kampfdrohnen werden ukrainische Städte und Energieinfrastruktur attackiert. Viele Flugkörper schießt die ukrainische Luftabwehr nach eigenen Angaben ab, aber viele andere kommen durch. Menschen sterben, die Stromversorgung bricht zeitweise zusammen.

Deutschland hilft mit Hightech: Das erste Luftabwehrsystem IRIS-T SLM ist bereits in der Ukraine eingetroffen. Die Reaktion aus Kiew ist überschwänglich, der ukrainische Verteidigungsminister Oleksij Resnikow sprach von einer "neuen Ära der Luftabwehr". Auch ehemalige Bundeswehr-Offiziere zeigten sich optimistisch. Von einem "Quantensprung" ist die Rede. Aber was macht das System eigentlich so besonders?

Eine Stärke von IRIS-T SLM sei sein 360-Grad-Radar, das mit den Infrarotsensoren in den Raketen für die Zielerfassung und Zielverfolgung kombiniert werden könne, sagt Markus Reisner, Oberst des österreichischen Bundesheeres und Leiter der Forschungs- und Entwicklungsabteilung an der Theresianischen Militärakademie in Wiener Neustadt, gegenüber ntv.de. Ein weiterer Vorteil: Mit IRIS-T SLM seien "mehrere Ziele gleichzeitig erfassbar und bekämpfbar", so Reisner.

"IRIS-T ist mit das Modernste, was es in der Welt gibt", erklärt Bundeswehr-Oberst a.D. Ralph Thiele im Gespräch mit ntv. Es sei schließlich gerade erst auf den Markt gekommen. Nicht einmal die Bundeswehr hat eins. Die Herstellerfirma Diehl Defence aus Überlingen am Bodensee sei an "der Entwicklung taktischer Verteidigungssysteme über Jahrzehnte beteiligt" gewesen, so Thiele. Führend sei Diehl vor allem bei der Präzision, mit der die Ziele getroffen werden könnten.

Wie das Auge eines Chamäleons

Bekämpft werden können mit IRIS-T SLM etwa russische Raketen und Marschflugkörper, wie sie beim jüngsten Massenangriff eingesetzt wurden. Und natürlich soll es auch gegnerische Flugzeuge und Hubschrauber vom Himmel holen können. Das ganze System besteht aus drei bis fünf Fahrzeugen. In einem befindet sich der Kommandostand, ein weiteres trägt das Radar, dazu kommen ein bis drei Fahrzeuge mit jeweils acht Abfangraketen. Die große Mobilität ist eine weitere Stärke des Systems. Alle Komponenten können rasch den Ort wechseln, um nicht vom Gegner ausgekundschaftet und zerstört zu werden.

So funktioniert es: Erfasst das 360-Grad-Radar einen feindlichen Flugkörper, wird eine Rakete senkrecht aus einem Container am Boden (das SL in SLM steht für Surface Launched, deutsch: vom Boden gestartet) abgefeuert. Mithilfe von GPS und Trägheitsnavigation fliegt die Rakete in Richtung Ziel, kann unterwegs aber vom Radar mit Daten über den Aufenthaltsort des Ziels upgedatet werden.

Erst im Endanflug übernimmt der Infrarot-Suchkopf der Rakete (IRIS steht für Infra Red Imaging System, deutsch: Infrarot-Bildgebungssystem) - dafür wird der Sucher an der Spitze der Rakete freigelegt. Wie das Auge eines Chamäleons kann dieser in großem Winkel schwenken und das Ziel suchen und erfassen. Die Rakete soll dabei nur schwer zu beeinflussen sein. Eine intelligente Bildverarbeitung etwa soll zwischen Wärmequelle des Ziels und Infrarot-Täuschkörpern unterscheiden können. Auch soll die Rakete gegen elektronische Störmaßnahmen weitgehend immun sein.

Die Abfangrakete IRIS-T, auf der die Boden-Luft-Rakete IRIS-T SL basiert, fliegt mit dreifacher Schallgeschwindigkeit und erreicht laut Bundeswehr dennoch "eine einmalige Manövrierfähigkeit". Möglich macht es eine schwenkbare Düse (englisch: Tail/Thrust Vector-Controlled - dafür steht das T in IRIS-T) und die dazu optimierten Flügel. Bei Annäherung an das Ziel zündet schließlich eine Spreng-Splitter-Ladung, welche den angreifenden Flugkörper zerstören soll.

Ganze Großstadt schützen

Das gesamte System IRIS-T SLM kann einen Radius von 40 Kilometern abdecken und Ziele in bis zu 20 Kilometern Höhe bekämpfen. Das M in SLM steht dabei für Medium Range, deutsch: mittlere Distanz. Es gibt noch eine Version mit kürzerer Reichweite (SLS) bis 25 Kilometern, welche die Luft-Luft-Rakete IRIS-T verwendet. Eine Langstrecken-Abwehrrakete befindet sich in der Entwicklung.

Eine ganze Großstadt könne mit IRIS-T SLM vor Luftangriffen geschützt werden, schwärmte Bundeskanzler Olaf Scholz. Ist die Ukraine nun also sicher vor russischen Terrorangriffen? Ob das Flugabwehrsystem die hohen Erwartungen erfüllt, ist aus Sicht von Oberst Reisner noch offen: "Die tatsächliche Leistungsfähigkeit wird erst der Einsatz zeigen." Bisher musste sich das System noch nicht in einem echten Krieg bewähren.

Zudem ist der Einsatzradius von 40 Kilometern zwar ausreichend, um eine Stadt zu schützen. Doch die Ukraine ist ein großes Land - eine flächendeckende Luftverteidigung wird mit einer Handvoll IRIS-T SLM nicht möglich sein. Aus Sicht von Oberst a.D. Thiele ist das System daher eher ein "wichtiges Puzzleteil". Mit ihm könnten "Regierungszentren, kritische Infrastrukture und logistische Zentren" geschützt werden.

Erst im kommenden Jahr sollen drei weitere IRIS-T SLM an die Ukraine geliefert werden. "Wir tun alles, damit es so schnell wie möglich geht", versprach Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht. Solche "hochkomplexen, hochmodernen Systeme" wie IRIS-T SLM seien jedoch aufwändig herzustellen. Dasselbe gilt für das amerikanische NASAMS, ein vergleichbares Luftabwehrsystem, das die USA in die Ukraine liefern wollen - zwei davon sofort, sechs weitere über einen längeren Zeitraum.

Russland setzt auf Kamikaze-Drohnen

Doch auch IRIS-T SLM gilt nicht als unüberwindbar. Schließlich verfügt ein System maximal über 24 Raketen, die gleichzeitig startbereit sind. Mit einer hohen Anzahl angreifender Flugkörper könnte es praktisch überwältigt werden. Laut Experten gibt es zwar Hinweise darauf, dass Russland zumindest bei seinen Vorräten an präzisen Marschflugkörpern langsam an seine Grenze kommt. Doch wie hoch die Bestände an Langstrecken-Waffen genau sind, vermag niemand zu beurteilen.

Von ukrainischer Seite wurde zudem gemeldet, dass Russland beim jüngsten Massenangriff auch Kamikaze-Drohnen aus dem Iran eingesetzt hatte. Die Drohnen des Typs Shahed-136 etwa schlagen meist paarweise in ein Ziel ein, sind relativ leicht und fliegen so niedrig, dass sie nur schwer von der ukrainischen Luftabwehr aufzuspüren seien, sagte ein ukrainischer Kommandeur dem "Wall Street Journal". Laut dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskij hat Moskau 2400 dieser Drohnen im Iran bestellt.

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Könnte IRIS-T SLM auch etwas gegen Drohnen ausrichten? Möglich wäre das, sagte Ex-General Erhard Bühler dem MDR. "Ob man eine solche sehr teure Rakete dann auf eine Drohne aus dem Iran abfeuert, muss man vor Ort abwägen." Zumindest die Luft-Luft-Version IRIS-T soll pro Rakete etwa 400.000 Euro kosten. Für die Weiterentwicklung IRIS-T SL gibt es keine Angaben zum Stückpreis. Ein ganzes System soll etwa 140 Millionen Euro kosten.

Doch es gibt womöglich eine andere Lösung gegen die Drohnen-Gefahr: Die NATO kündigte an, der Ukraine Hunderte Störsender zur Drohnenabwehr liefern zu wollen. Diese könnten dabei helfen, in Russland und im Iran hergestellte Drohnen unwirksam zu machen, sagte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg.

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